Dark Wave, Gothic & EBM im Filmblickwinkel

Es gibt Menschen, die lieben Filme, andere lieben Musik, manche beides, kurios. Natürlich gibt es auch solche, die Filmmusik lieben oder im Speziellen Musikfilme oder Musicals. Musik und Film, das passt gut zusammen, als kommerzielle Medien haben beide eine gemeinsame Geschichte, unterteilen sich in Genres und manchmal kreuzen sich ihre Wege auch innerhalb von Zielgruppen und Nischen. Auf der einen Seite hat Musik immer schon auch den Film beeinflusst, von klassischer Filmmusikorchestrierung über Schlager, Rock `n Roll, Rap, Hip-Hop bis hin zu Techno und Rave. Auf der anderen Seite haben sich Musiker manchmal Filmsamples bedient, um einem Song neben Strophe und Refrain eine weitere textliche Ebene zu geben.

 

Die Verwendung von Filmsamples in Songs ist in einem Musikgenre besonders ausgeprägt, eigentlich handelt es sich aber um viele verschiedene Musikrichtungen, die trotz großer stilistischer Unterschiede eine bestimmte Szene umfassen – die Schwarze oder Alternative Szene, auch Gruftiszene genannt, vereint Musiksubgenres wie Dark Wave, Gothic Rock, Neofolk, Industrial, Electro, EBM und mehr. Was Themen, Texte und emotionale Befindlichkeiten betrifft, so kann man die Alternative Musikszene vielleicht sogar mit dem Genrefilm vergleichen, Popmusik oder Romantische Komödien sind jedenfalls anders gestrickt und bedienen andere, größere Zielgruppen. Das schauen wir uns heute mal genauer an, wie hat Alternative Musik den Film beeinflusst und andersherum.

 

 

 

 

Die Schwarze Szene und der Film, diese Verbindung ist natürlich eine Nische und hat popkulturell weniger gegenseitigen Einfluss ausgeübt als beispielsweise Filme über Rap und Hip-Hop innerhalb des Gangsterfilm, aber immerhin mehr als Techno oder Rave. Gruftis, Goths oder Emos tauchen zwar in allerlei Genrefilmen auf, aber nur selten wird die Szene an sich filminhaltlich verarbeitet. Es ist eher so, dass das Medium Film die schwarze Szene als solche beeinflusst hat. Denn die Themenfelder, die diese Szene inhaltlich berühren, findet man vor allem im Fantasy-, Horror- oder Science-Fiction Bereich: Die Frage nach Leben und Tod, das Leben nach dem Tod, Ethik, Moral, Religion oder die Abkehr von Religion, Schwarzromantik und Lyrik.

 

 

 

Man könnte sagen, dass die schwarze Szene ein Faible für den Horrorfilm, Fantasyfilm oder für Science-Fiction hat, weil die Kernfragen jener Genres die Gleichen sind. Ausdruck finden sie nicht nur in Musik und Texten, sondern auch im Coverartwork und innerhalb der generellen Attitüde. Da die Szene trotz riesiger Bandbreit und Internationalität im Vergleich zur Popmusik eine Nische ist, ist sie als solche natürlich kein kommerzielles Zugpferd. Aber wo immer Filminhalt und Stilistik auf Schwarzes Lebensgefühl traf, neben Musik auch innerhalb der Mode, wurden verschiedene Filmklassiker zu Kultfilmen der Szene.

 

 

Dass es bestimmte Filme gibt, die die Szene definieren, zeigt sich beispielsweise daran, dass im Zuge diverser Festivals wie das WAVE GOTIK TREFFEN neben Konzerten und Veranstaltungen auch Filmvorführungen stattfinden, bei denen Jahr um Jahr dieselben Streifen laufen. Besonders im Bereich Dark Wave und Gothic sind es die Klassiker NOSFERATU, DAS CABINETT DES DR.CALIGARI oder DAS PHANTOM DER OPER, aber auch THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW oder BRAM STOKERS DRACULA. Sie vereinen Themen wie Tod und Vergänglichkeit, Liebe, Einsamkeit und Anderssein.

 

Der Begriff Gothic kommt von gotisch, also düster oder schaurig. Auch im Bereich Filmgenre hat sich dieser Begriff schon weit vor der schwarzen Szene etabliert – Gothic Horror umfasst klassischen Horror nach Geschichten von Edgar Allen Poe, Mary Shelley oder Bram Stoker. Generell geht von Vampiren eine hohe Anziehungskraft innerhalb der schwarzen Szene aus, viele Bands beschäftigen sich textlich, aber auch durch Maskerade und Outfit mit dem Thema Vampirismus oder Horror allgemein.

 

Einige Bands haben demzufolge auch Namen bekannter Filmhighlights oder Figuren wie London After Midnight, Siouxsie and the Banshees, Dracul oder The House of Usher. Einer der bekanntesten Szenehits ist beispielsweise Bela Lugosi’s Dead von Bauhaus, nach dem wohl bekanntesten Dracula Darsteller der dreißiger Jahre. Als sich später aus dem klassischem EBM á la Krupps, DAF oder Front 242 andere elektronische Sparten wie Industrial, Noise oder Cyber Electro bildeten, fanden sich in Texten oder musikalischen Konzeptionen auch technische und ethische Themen der Science-Fiction wieder.

 

 

 

Noch größeren Einfluss hatte der Film auf die Mode des Schwarzen Szene. Sieht man heute auf diversen Festivals oder Konzerten Ledermäntel, Lackoutfits, Gasmasken oder Neonschläuche, sind diese zum Teil von Filmen wie MATRIX oder BLADE inspiriert, aber auch von UNDERWORLD oder DARK CITY. Generell ist die Mode das am meisten zitierte Element in dieser Musikrichtung. So haben sich in die Mode der schwarzen Szene ganz bestimmte Filme eingeschlichen.

 

 

THE CROW (1994) von Alex Proyas

 

Wenn es den Kultfilm der Szene gibt, dann ist es THE CROW von 1994. Er ist wohl deshalb so markant, weil neben dem Soundtrack von The Cure und Nine Inch Nails und dem Make Up und Kostüm der Figur Eric Draven vor allem der tragische Tod von Hauptdarsteller Brandon Lee eine geradezu morbide, schwarze Ironie ist. Neben Merchandisingartikeln rund um THE CROW und Schmuck & Kostüme aus DER HERR DER RINGE ebenfalls ganz vorn dabei: Jack Skellington aus NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS, dessen Grinsen auf allerlei Taschen, Shirts und Accessoires zu finden ist.

 

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Die Filme von Tim Burton werden von der Szene immer wieder zitiert. Natürlich sind Burtons Werke düster, schwarzromantisch und auch voller Melancholie. Ob Burton selbst ein Grufti ist, wage ich zu bezweifeln (er hört auch gern Westernhagen). Trotzdem sind die Figuren Lydia aus BEETLEJUICE, Edward mit den Scherenhänden oder Sweeney Todd heute Blaupausen für echte Gothic Outfits. Auch THE CORPSE BRIDE oder SLEEPY HOLLOW werden gern auf Festivals oder Konzerten modisch zitiert.

 

 

 

Einige Jahre lang hing Jörg Buttgereit auf Festivals wie dem WAVE GOTIC TREFFEN herum, um Filme zu verkaufen, auch sein bekanntestes Werk NEKROMANTIK ist ein beliebter Underground-Klassiker. Daneben gibt es aber auch Filme, die direkten musikalischen Bezug zur Szene haben. Einer der Kultfilme in diesem Bereich ist BEGIERDE von Tony Scott mit David Bowie, Catherine Deneuve und Susan Saradon, in dessen ersten Szene bereits Peter Murphy von Bauhaus eben jenen Waveklassiker Bela Lugosi´s Dead in einer Disco zum Besten gibt. Zudem haben es einige Bands oder Musiker auch in den Bereich Filmmusik geschafft.

 

 

Peter Murphy (Bauhaus) in THE HUNGER (1983) von Tony Scott

 

Lisa Gerard (GLADIATOR) war bis 1998 Sängerin der Band Dead Can Dance. Nine Inch Nails haben bereits für David Finchers SIEBEN Songs beigesteuert, bevor Trent Reznor und Atticus Finch für THE SOCIAL NETWORK, THE GIRL WITH THE DRAGON TATTOO oder SOUL auch den Score komponierten und zwei Oscars gewannen. Auch Laibach haben sich musikalisch an IRON SKY vergangen, in THE COLLECTOR wird immerhin Combichrist gespielt. Für WIR SIND DIE NACHT von Dennis Gansel haben Covenant einen gleichnamigen Song beigesteuert. Teile der Filmmusik zu BRAM STOKERS DRACULA von Wojciech Kilar wurden in Battlefield von Panzer AG verwurstet, die Logline des Vampirschinkens ist auch Titel des Klassikers von Apoptygma Berzerk – Love never dies.

 

 

Goths in Movies

 

Wojciech Kilar kann zudem stolz behaupten, dass der Titeltrack des Soundtracks KÖNIG DER LETZTEN TAGE zum gleichnamigen ZDF-Zweiteiler langezeit in dunklen Clubs gespielt wurde. Das ist natürlich kein Zufall, denn inhaltlich stehen sich jene Bands und Filme natürlich näher und Musik hatte schon immer Einflüsse auf den Film gehabt. Auf der andere Seite aber haben Filme die Musik der Schwarzen Szene noch direkter beeinflusst, und zwar durch die Verwendung von Filmzitaten als Samples.

 

 

Als ich Anfang der 90er Jahre in diversen alternativen Schuppen abhing, stachelte das ein oder andere Musikwerk auch meine bis dato große Filmleidenschaft an. Woran lags? Besonders im Elektrobereich wurden früher wie heute Filmsamples benutzt, um neben dem Text eine weitere Ebene in einem Song zu etablieren oder Text oder Musik ironisch zu brechen. Oder einfach nur, weil´s cool war! Es gibt Künstler, die haben aus dem Samplen von Filmonlinern, Voice Overs oder Dialogfetzen grandiose Klangkonstrukte erschaffen. Jemand, der das perfektioniert hat, ist beispielsweise Bryan Erickson von Velvet Acid Christ aus den USA, der Film und Musik in Perfektion vereinte. Doch auch ein deutsches Electro-EBM Projekt beherrschte diese hohe Kunst auf kongeniale Weise.

 

 

Meisterwerke der Samplekunst: WUMPSCUT: MFAST – EMBRYODEAD – BUNKERTOR 7 – DRIED BLOOD OF GOMORRHA, VELVET ACID CHRIST: FUN WITH KNIVES, CALLING OV THE DEAD, AUTO AGGRESSION: GERÄUSCHINFORMATIK

 

In einem verquarztem Dark Room kroch es in meine Ohren, ein Song mit markanten Zitaten, die mich nicht mehr losließen. Ein Lied, in dem es um Soylent Rot und Soylent Gelb ging, zwei Vollkraftnahrungsmittel und das neue, köstliche Soylent Grün, die Wunderkost aus energiereichem Plankton. Ein Song voller Samples um Rindfleisch, Züchtung, Ernährung und den Schrei der Verzweiflung am Ende: „Soylent Grün ist Menschenfleisch“. Das war aus einem Film, aus welchem, das wusste ich damals gar nicht.

 

 

wumpscut

Rudy Ratzinger / :WUMPSCUT: / https://wumpscut.bandcamp.com/

 

Der Song hieß Soylent Green und das Projekt hinter diesem Brachialwerk, welches seine eigene Struktur hatte, eine versessene Verspieltheit und das tatsächlich eine Geschichte erzählte, stammte aus der Feder eines gewissen Rudy Ratzinger, Kopf des Elektro-EBM-Projektes Wumpscut. Soylent Green war aber nicht der einzige Song, in dem Filmsamples zentral verwendet wurden. Rudy verarbeitete in Songs unter andere Zitatzeilen aus DIE BLECHTROMMEL („…aber der Weihnachtsmann war in Wirklichkeit der Gasmann!“), 12 MONKEYS („Vielleicht gibt es mich nur in deinem Kopf!“) oder DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER („They slaugerting these spring lambs? And you run away?“).

 

Neben brachialer Rhythmik, eingängigen Melodien und verzerrten Vocals waren es vor allem die Filmsamples, die Wumpscut so faszinierend machten. In Zeiten ohne Internet auch eine Herausforderung, solche Samples oder Filme zu erkennen. Bis heute ist sich Rudy treu geblieben und in seinen Stücken finden noch häufig Zitate aus ganz unterschiedlichen Filmen Platz, das zum Teil höchst filigran arrangiert, ganze Refrains wurden zum Teil gesampelt.

 

 

 

 

Was Rudy Jahr für Jahr mit ironischen und mehrdeutigen Alben auf die Beine stellte und wie er dabei auch gewitzt die Szene hinterfragt (Homo Gotikus Industrialis, You Are A Goth), ist weit mehr als rhythmisches Stampfen und blechernes Krächzen. Wumpscut hören bedeutet, Klangstrukturen oder Filmsamples zu entdecken oder wieder zu entdecken („Of Course is something wrong with him…“). Ich höre ein Album, speziell ein Konzeptalbum von Wumpscut, nicht anders als ich einen Film schaue.

 

Glücklicherweise ist Rudy und Wumpscut nach ein paar Jahren Pause wieder musikalisch aktiv und sampletechnisch immer noch Referenz (einen brachialen Song um ein TOY STORY Sample herum zu basteln muss ihm erstmal jemand nachmachen). Aus lauter Begeisterung habe ich vor ein paar Jahren den Spieß umgedreht und Filmausschnitte zu einem Song gesampelt, quasi als Visual Remix. Macht immer noch Bock, das Teil.

 

 

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Das Samplen von Audiofilmfetzen ist eine kleine Kunstform für sich. Doch es gibt auch Bands oder Künstler, die filmisch noch einen Schritt weiter gehen. Go Film! Die Minimal-Electro-Kultband Welle:Erdball als solche ist ja schon ein Gesamtkunstwerk, ein eigenes, musikalisches Genre irgendwo zwischen frühem NDW, Schlager, Kraftwerk, GEHIRN, 50er Jahre Romantik meets C64, Weltenzahl & Cobaltblaster. Ihre Funksendungen waren schon immer filmisch geprägt, bis hin zu einer Huldigung an die SUPER 8 Kamera und Kintop im Hausgebrauch…für den Wohnkomplex!

 

 

 

 

2008 veröffentlichten Welle:Erdball ihren ersten 80-minütigen Spielfilm OPERATION ZEITSTURM, eine wilde Zeitreisefarce von und mit Honey von Welle:Erdball und natürlich fantastischer Musik. Es gibt einige Bands in diesem Sektor, die sich auch abseits von immer aufwändiger werdenden Musikvideos filmisch versucht haben. Neben Goethes Erben oder der Zusammenarbeit von Hubertus Siegert und Einstürzende Neubauten in BERLIN BABYLON gibt es auch wilde Horror-Fantasyschinken wie DARK FLOORS von Lordi oder IMAGINAERUM von Nightwish.

 

 

 

Leider gibt es nur wenige Filme, die sich zumindest ansatzweise mit Aspekten der schwarzen Szene an sich befassen, wie VERSCHWENDE DEINE JUNGEND über die Band DAF. Wirklich genial, aber frei erfunden, ist die Mockumentary FRAKTUS um eine Kultband, die nachträglich den Tekkno erfanden. Blixa Bargeld, Stefan Remmler oder Yellow stehen dafür vor der Kamera gerade. Eigentlich ist in dem breiten Feld von Mittelalter, Folk, Dark Wave, Noise, Industrial, Old School EBM, Electro-EBM, Gothic Rock, Batcave, Synthi Pop, Black Metal oder Aggrotech viel Material aus Lebensgefühl, Subkultur, Musikgeschichte und Gesellschaftspolitik, was als Inspiration für spannende Geschichten dienen kann.

 

 

FRAKTUS – DAS LETZTE KAPITEL DER MUSIKGESCHICHTE (2012) von Lars Jessen

 

Denn der Markt hat schon seit längerem auch an dieser Szene Gefallen gefunden. Nicht nur in Horrorfilmen, auch in Vorabendserien tauchen immer mal Goths oder Emos auf, bedient werden aber größtenteils nur die Klischees. Die Modeindustrie verdient nicht schlecht an Klamotten und Accessoires und eine Kommerzialisierung der Szene ist besonders auf diversen Festivals zu beobachten. Andererseits, welche Bereiche sind nicht kommerzialisiert? Mode, Musik, Film, was auch immer.

 

 

VERSCHWENDE DEINE JUGEND (2003) von Benjamin Quabeck

 

Natürlich könnte es für meinen Geschmack mehr Filme über Szeneaspekte oder Bands geben, die es in hiesigen Landen ja in großer Zahl gibt (und die innerhalb der Szene auch interantional bekannt und erfolgreich sind), VERSCHWENDE DEINE JUGEND macht das gar nicht schlecht. Aber streng genommen macht nicht die Szene aus einem Film etwas besonderes, sondern Figuren, die immer lebendiger werden, je spezieller sie sind. Natürlich bedarf es immer den persönlichen Zugang, ich würde mich mit Figuren, die Volksmusik verehren, wohl auch schwer tun. Letzten Endes sind sie aber genau deshalb so interessant wie der Genrefilm, weil sie eine Nische abseits des Massengeschmacks darstellen.

 

2 Comments

  1. Antworten
    Abel Ferrara 23. Mai 2013

    Also “Begierde” von Tony Scott (RIP) ist einfach genial…schön für die Erwähnung…

    ansonsten…bist ja ein Kenner dieser Szene, daher ein sehr guter Informativer Artikel :)

  2. Antworten

    […] Die kleine Genrefibel Teil 5: Wave & Gothic « traumfalter filmwerkstatt | stoffentwicklung… 16. Mai […]

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Christian Hempel | Autor, Dramaturg und Stoffentwickler | Gesslerstraße 4 | 10829 Berlin | +49 172 357 69 25 | info@traumfalter-filmwerkstatt.de